Fragen
zum Internetcolloquium
1. Was ist ein Internetcolloquium?
2. Woraus besteht unser Internetcolloquium?
3. Konkrete Projekte & Aktivitäten
4. Wozu Internetcolloquien?
5. Für wen sind Internetcolloquien?
1. Was ist ein Internetcolloquium?
In Seminaren und Colloquien kommen wir zusammen und sprechen miteinander
von Angesicht zu Angesicht, wir diskutieren Texte, Referate werden gehalten,
Vorträge gehört und manchmal spielen auch Audio oder Video eine
Rolle. Die Teilnehmer eines Internetcolloquiums können sich auch
treffen, aber Anwesenheit ist nicht Pflicht und die Orte der Zusammenkunft
liegen nicht von vornherein fest. Die Diskussion, die sonst in Seminarräumen
stattfindet, findet in Internetcolloquien auf einer mailing-list statt.
In ihr werden Texte, Audio- und Videotracks diskutiert. Die Aufgabe der
Internetseite ist es, die entsprechenden Texte, Bilder und Vorträge
in Audio- und Videoform bereitzustellen. Unser Internetcolloquium soll
sich dahin entwickeln, dass nicht nur ÜBER Bilder, Audio- und Videotracks
diskutiert wird, sondern auch IN Bildern, Audio- und Videotracks. Unser
Internetcolloquium „Toward an Integral Theorie of Media“ ist
also eine Kommunikation über Medien in Medien: Es ist der Ort für
eine Medientheorie, die sich als eine Theorie in Medien begreift.
2. Woraus besteht unser Internetcolloquium?
Unser Internetcolloquium besteht aus unterschiedlichen locker vernetzten
Einzelprojekten, einer Mailingliste, einer Internetplattform (auf der
wir unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit ausprobieren, Ergebnisse
publizieren und Materialien bereitstellen) und medientheatralischen Liveacts
(in denen es keinen kategorischen Unterschied zwischen Darstellern und
Publikum, zwischen Produzenten und Rezipienten, zwischen Gestaltenden
und Genießenden geben soll).
Ein Internetcolloquium findet nicht ausschließlich
im Internet statt, sondern kann auch Anwesenheit umfassen. In ihm kehren
sich allerdings die Verhältnisse um.
Ein Beispiel: In einem Oberseminar kann es eine Mailingliste geben, in
der Themen oder Vorträge angekündigt werden und der Diskurs
fortgesetzt wird. Die Mailingliste ist in dem Falle etwas Sekundäres,
etwas, was dazu kommt und dem Seminar nach- und untergeordnet wird, während
die Veranstaltungen, die von vornherein feststehende Kontinuität
bilden. In einem Internetcolloquium dagegen steht der Diskurs in Abwesenheit
für die Kontinuität und einzelne Veranstaltungen und Projekte
können sich aus diesem Diskurs entwickeln. Die Flexibilität
ist die Bedingung dafür, dass jeder eine Veranstaltung, ein Treffen,
einen Museumsbesuch, ein gemeinsames Badengehen oder einen Clubbesuch
mit entsprechender theoretischer Ausrichtung organisieren kann: Es kann
mit unterschiedlichen kommunikativen Konstellationen an verschiedenen
Orten experimentiert werden.
In Kommunikation aus der Ferne kann man das Aufeinandertreffen dann als
etwas Besonders inszenieren und bestimmten Spielregel unterwerfen. Damit
entgeht man der Gewalt der Gewohnheit. Um die Anwesenheit in das Colloquium
zu integrieren, ist es wichtig, Audio- oder Videoaufnahmen zu machen.
Wir stellen eine Struktur bereit, in der unterschiedliche
Personen eigenständige Projekte durchführen können. Das
Internetcolloquium zielt aber nicht nur darauf, dass die Teilnehmer selbstständig
Projekte durchführen, sondern auch darauf, dass sie gemeinsam eine
Plattform entwickeln, die auch andere für ihre Projekte benutzen
können.
Die meisten Projekte, die im Zusammenhang mit dem Colloquium
durchgeführt werden, experimentieren mit dem Ineinander-Greifen von
Anwesenheit und Abwesenheit. Sie stellen kompositorische Improvisationen
dar, die Elemente der Unmittelbarkeit und Interaktion mit speichermedialen
Elementen - also mit Audio- und Videoschnipseln -, mit Lichtstimmungen,
mit Musik, Texten, Bildern und so weiter kombinieren. Während Letztere
feststehen, sind Erstere der Kontingenz unterworfen. Kompositorische Planung
heißt also, feststehende Elemente in Speichermedien mit der Kontingenz
des unmittelbaren Diskurses zu kombinieren und dieses Ineinander-Greifen
so zu gestalten, dass die Anwesenheit möglichst fruchtbare mediale
Spuren hinterlässt. Diese medialen Spuren, die in der Postproduktion
zu speichermedialen Einheiten geformt werden, können sowohl im Internet
zugänglich gemacht als auch wiederum bei live acts oder Installationen
eingespielt werden. Jeder Distributionsprozess ist also immer auch ein
Produktionsprozess.
3. Konkrete Projekte & Aktivitäten
Obwohl sich die Projekte im Internetcolloquium erst entwickeln und aus
dem Diskurs entstehen sollen, bestehen bereits einige Projekte und Projektvorschläge:
Es gibt (a.) ein Publikationsprojekt (http://www.formatlabor.net/html/book-project.htm),
(b.) ein Konzept für das Aufbauen einer Internetplattform mit Vorträgen
und Interviews zum Thema „Medien & Emanzipation“ (http://www.formatlabor.net/html/diskurs.htm);
es gibt (c.) die Möglichkeit, bei Radiosendungen mitzuarbeiten, (d.)
Interviews mit Medientheoretikern zu machen und auf die Plattform zu stellen,
und es gibt die Möglichkeit, (e.) selbstständige Media for One
herzustellen. (f.) Jede Form der Gestaltung, jede Moderation oder jede
Inszenierung des Diskurses, der zwischen uns stattfindet, kann ein Projekt
oder einen Ausgangspunkt für ein Projekt bilden.
Am Ende des Semesters werden wir wahrscheinlich ein Gespräch
mit ein paar Colloquiumsteilnehmern führen, welches auf Video oder
Audio aufgezeichnet wird. Und wir werden den Diskurs der Liste gemeinsam
editieren. Auszüge aus dem Ergebnis werden im nächsten Jahr
ggf. publiziert. Es werden auch noch andere Möglichkeiten bereitgestellt
werden, aber diese Möglichkeiten werden eben auch nur bereitgestellt
und nicht mehr. Der Impuls, die Energie, die Dinge zu tun, werden nicht
vom Colloquiumsleiter kommen. Wenn niemand etwas machen will, wird überhaupt
nichts passieren, außer dass wir ein paar mails schreiben und die
Plattform weiter aufbauen.
Eine weitere Möglichkeit der Beteiligung besteht darin,
dass jemand einen Text, der auf der Seite steht (oder auch einen anderen
Text, der mit unserem Thema zu tun hat) als Grundlage für ein Treffen
vorschlägt und dann die Leitung in diesem Treffen übernimmt.
Wer möchte, kann sich vorher mit mir zusammensetzen und einen Plan
für die Veranstaltung durchsprechen. Wir können dann gemeinsam
eine Dramaturgie entwickeln und den Einsatz von Medien planen. Das wäre
auch möglich für jemanden, der noch nie ein Arbeitstreffen oder
Seminar geleitet hat und es einmal ausprobieren möchte. Die Orte,
an denen wir uns treffen, müssen nicht unbedingt akademische sein.
Es gibt auch die Möglichkeit, eigene Projekte vorzustellen
und Mitstreiter zu suchen oder bei vorgestellten Projekten mitzumachen.
Wenn jemand technische Unterstützung braucht (beispielsweise für
Audio- oder Videoaufnahmen oder -schnitt), dann kann er dies über
die Liste posten. Wenn jeder Teilnehmer ein Profil von sich eingibt, entsteht
daraus eine weitere Möglichkeit des Austausches. Wenn es niemanden
im Colloquium gibt, der die technische Unterstützung leisten kann
oder will, werden wir diese Unterstützung leisten.
Der Vorteil des Internet-Colloquiums ist, dass jeder die
Form wählen kann, die ihm zusagt. Der Nachteil ist der, dass es niemanden
gibt, der einen motiviert, und man selbstverantwortlich arbeiten muss.
Ziel ist das selbstständige Durchführen von Projekten in Zusammenarbeit
mit anderen.
Regelmäßig führen wir in unterschiedlichen
Clubs Theorie-Diskos durch.
Aktuelles, insbesondere Aufführungen, finden Sie unter: http://www.formatlabor.net/formatlabor.htm.
4. Wozu Internetcolloquien?
Diese Frage können wir nicht ad hoc beantworten und vielleicht sollten
wir diese Frage auch im Internetcolloquium zunächst eher offen halten
und auf die Möglichkeiten gespannt sein, die sich ja im Colloquium
erst entwickeln sollen. Deshalb hier zunächst ein paar Gedankensplitter,
von denen wir u.U. bei der Beantwortung der Frage ausgehen könnten:
1
Wenn wir davon ausgehen, dass nicht das Subjekt, sondern der Diskurs die
Grundlage von Wissen und Wissenschaft bildet, dann sind die Medien der
Wissenschaft ihre epistemologische Grundlage.
Aber auch die Analyse der Bedingungen des Sprechens, Schreibens und Gestaltens
ist eben diesen Bedingungen unterworfen. Wir geraten hier also in eine
Aporie. Diese Aporie lässt sich mit operativen und performativen
Mitteln als Paradoxie in einer selbstbezüglichen Praxis entfalten.
Sie erscheint dann als Regelmechanismus, der seine Ergebnisse nicht im
vorhinein präzise kennen muss, sondern ein angenommenes „Eher-so-als-So“
reicht für die Steuerung einer experimentellen Praxis aus.
2
Operative Epistemologie verstehen wir als die planmäßige Verschiebung
der Bedingungen des Diskurses und damit auch als ästhetische und
theatrale Praxis. Sie ist notwendigerweise experimentell, weil planmäßiges
Verschieben nicht heißt, dass wir das Ergebnis kennen würden,
sondern wir können nur aufgrund von Überlegungen und Erfahrungen
Verschiebungen so organisieren, dass sonst eher Unwahrscheinliches wahrscheinlich
wird. Planmäßig heißt in diesem Fall, dass man die nächste
Entscheidung auf basaler Ebene kennt, sich aber nicht von der Vision des
Ergebnisses leiten lässt.
Epistemologie ist die Frage, wie Fremdreferenz aufgenommen werden könnte.
Deshalb ist Epistemologie die Voraussetzung für das Politische und
Soziale.
3
Unser Ausgangspunkt ist, dass wir sagen, dass Medientheorie sich selbst
als eine Theorie in Medien verstehen müsste und dass, mit Hilfe der
gar nicht mehr so neuen Möglichkeiten der vernetzten digitalen Datenverarbeitung,
die traditionellen Formate der Wissenschaft vor einem neuen Horizont betrachtet
werden könnten.
4
Traditionellerweise ist Wissenschaft mit der Schrift verbunden, ja man
könnte sagen, dass sie überhaupt erst durch die Schrift entstanden
ist. Durch diese durch die Schrift entstandenen neuen epistemologischen
Möglichkeiten - nämlich dass eine Aussage gespeichert werden
kann und in ihrer Materialität als ein Fremdes dem Aussagenden gegenübersteht
- konnten Aussagen überhaupt erst vor dem Horizont von richtig und
falsch beobachtet werden. Dieses Beobachten, das wir Wissenschaft nennen,
hat unterschiedliche Formate ausgebildet: Buch, Vortrag, Artikel, Tagung.
Das sind wissenschaftliche Formate, die sich in den letzten hundert, hundertfünfzig
Jahren kaum verändert haben. Publikationen beispielsweise werden
bisher nicht in Mailinglisten oder Wikis entwickelt und der Einsatz von
Video- und Audiotechnik beschränkt sich in der Regel auf Illustration.
5
Die Flexibilität des Colloquiums ist die Voraussetzung seiner Kollektivität.
Ich verstehe mich nicht als Leiter des Colloquiums, sondern ich stelle
lediglich Möglichkeiten bereit. Ich versuche dann, die Prozesse zu
moderieren und zu kanalisieren.
Es geht nicht darum, besonders schicke und avancierte Technik
einzusetzen, sondern darum, durch operative und performative Methoden
Verschiebungen zu organisieren.
Es geht auch nicht darum, originell zu sein, und vielleicht kommen wir
am Ende doch wieder dazu, uns regelmäßig zu treffen und vielleicht
sogar an einem akademischen Ort, wer weiß?
5. Für wen sind Internetcolloquien?
Wir denken, dass in Zukunft nicht nur das Produzieren von Daten, also
Texten, Audioaufnahmen, Videomaterial, Bildern usw., wichtig sein wird,
sondern dass es vor allem darauf ankommen wird, Datensätze, also
Bilder Texte, Audio, Video, miteinander in Beziehung zu setzen, zu editieren,
in Archiven verfügbar zu halten und Prozesse zu moderieren.
- Wer ein derartiges Interesse hat und dies lernen möchte, ist hier
richtig.
- Wer in irgendeiner Form ein künstlerisches oder soziales Projekt
verwirklich will, in dem es um den Gebrauch von Medien geht, oder wer
an einem entsprechenden Projekt teilnehmen will, ist hier richtig.
- Wer motiviert werden will, ist hier falsch.
Wohin soll es gehen? Eine Aufgabe könnte sein, eine
Struktur zu schaffen, in der diese Frage behandelt wird. Es geht also
nicht darum, alles von vornherein festzulegen, sondern darum, dass aus
den INTERESSEN DER COLLOQUIUMSTEILNEHMER und dem Diskurs zwischen ihnen
sich etwas entwickelt.
Eine Aufgabe von Medientheorie ist es, darauf aufmerksam
zu machen, wo die Tradition, die Geschichte, die Konvention uns daran
hindern, die Chancen der Gegenwart zu ergreifen. Eine Aufgabe der Praxis
könnte es nun sein, nicht nur theoretisch und negativ darauf aufmerksam
zu machen, sondern mit operativen und performativen Mitteln die Chancen
der Gegenwart tatsächlich zu ergreifen.
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