HEISELER Dritte Definitionsfrage: Was ist ein symbolisch
generalisiertes Kommunikationsmedium?
BAECKER Ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium
ist in der Soziologie vor allem bei Talcott Parsons und bei Niklas Luhmann
eine gesellschaftliche Einrichtung; und zwar interessanterweise eine Einrichtung,
die eher mit der modernen Gesellschaft als mit traditionalen Gesellschaften
einhergeht, obwohl es für die einzelnen Kommunikationsmedien dann
Vorläufer bis in die Griechische Antike gibt, eine Einrichtung, die
unwahrscheinliche Kommunikation wahrscheinlicher zu machen vermag. Man
kann sich das ungefähr so vorstellen, dass traditionale Gesellschaften
sehr viel Arbeit an der Möglichkeit der Kommunikation über Moral
und auch über Religion laufen ließen und dass diese Ressourcen
Moral und Religion dann, wenn es anspruchsvoller wird, dann wenn man es
mit wirtschaftlichen Zusammenhängen zu tun hat, dann wenn man es
mit weiträumigen politischen, territorialen Zusammenhängen zu
tun hat, dann wenn man es mit der Entwicklung von wissenschaftlichen Forschungsprogrammen
zu tun hat, nicht mehr zureichen. Soziologen interessiert immer die Frage,
warum, wenn man keine Ressourcen hat, die zur Kommunikation auffordern,
die Kommunikation nicht einfach aufhört, nicht einfach still steht,
nicht einfach gleichsam verschwindet, sondern trotzdem weiterläuft.
Oder noch einmal anders formuliert: Soziologen interessiert die Frage,
wie man jemanden, der zuhause an seinem Schreibtisch sitzt und den Computer
anschaltet und irgendwelche Bücher auf seinem Schreibtisch sitzen
äh liegen hat, dazu bringen kann, an einem wissenschaftlichen Text
zu arbeiten, obwohl der ja auch vieles, vieles andere machen könnte,
sich Tee kochen, spazieren gehen, joggen gehen, was auch immer. Und die
Antwort auf diese entscheidende Frage nach den Ressourcen der Motivation
zu Kommunikation geben Kommunikationsmedien, insofern als ein Kommunikationsmedium,
in dem Fall Wahrheit, Wahrheit als das Kommunikationsmedium von Wissenschaft,
Wahrheit es so attraktiv macht, zu versuchen, einen Satz zu formulieren,
der als wahr behauptet werden kann, aber auch als unwahr, von Kritikern,
von Kollegen überführt werden kann, dass man deswegen an der
Maschine sitzen bleibt, an seinem Text schreibt und den Text anschließend
sogar publiziert. Kommunikationsmedien sind also Einrichtungen, die durch
ihre Selektivität - wenn ich einen wissenschaftlichen Text schreibe,
muss ich nicht gleich auch mich als liebesfähig gegenüber meiner
Familie erweisen, oder wenn ich einen wissenschaftlichen Text schreibe,
muss ich nicht gleichzeitig einen Machtanspruch in der Gesellschaft erheben
-, durch ihre Selektivität, es geht nur um Wahrheit, aber spezifisch
um Wahrheit, dazu motivieren, die Arbeit an dieser Kommunikation beizubehalten
und vielleicht sogar zu forcieren. Man nennt das deswegen symbolisch generalisiert,
das hört sich immer so schrecklich kompliziert an, weil diese Wahrheit,
von der da die Rede ist, natürlich keine absolute, objektive, tatsächliche
Wahrheit ist, sondern ein Symbol. Ein Symbol, das man aufrufen kann, um
seine Arbeit am gegenwärtigen Text zu verstehen und von dem man unterstellen
kann, dass es als dieses Symbol von anderen, die den Text dann irgendwann
lesen werden, „genauso“ verwendet wird, wie von demjenigen,
der den Text geschrieben hat. Das heißt also, es wird ein Symbol
aufgerufen, man bezieht sich auf Wahrheit. Dieses Symbol wird weitergereicht
mit Hilfe der eigenen Kommunikation und Generalisierung heißt dann
nur, dass diese Wahrheit tatsächlich über den spezifischen Zusammenhang
hinaus so generalisiert werden kann, dass sie in anderen Zusammenhängen
auch zur Geltung gebracht werden kann. Also, eine ziemlich einfache Frage:
Wie motiviert man zur Kommunikation? - mit dem Hintergrund durch Moral
und durch Religion und durch Macht alleine nicht mehr und dann ein relativ
kompliziertes Antwortschema, das auf Symbole, die durch ihre Selektivität
zur Kommunikation motivieren, hinweist, steckt hinter dem Begriff des
symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium.
HEISELER Das heißt, dass die symbolisch generalisierten
Kommunikationsmedien Sinnangebote darstellen, die sich gesellschaftlich
reproduzieren und damit generalisieren. Da, wo ein bestimmtes erfolgreiches
Sinnangebot in einer Gesellschaft vorhanden ist und verwendet wird, da
reproduziert es sich und wird damit generalisiert, beispielsweise in der
Wissenschaft.
BAECKER Richtig, denn es ist dann nicht nur das eine
Symbol, die Wahrheit, was immer das dann ist, diese Wahrheit, sondern
es ist ein ganzer Forschungszusammenhang, das sind theoretische Investitionen,
es sind methodische Festlegungen, es ist ein universitärer Zusammenhang,
in dem man das typischerweise macht, es sind Autoritätsbehauptungen,
von denen wir mit Mühe und Not ein wenig Abschied genommen haben,
es sind weiße Kittel, es sind ernste Gesichter, es ist High-Brow-Culture
und all das, was damit an semantischen Begleitphänomenen zusammenhängt.
HEISELER Da wären wir dann auch schon bei den gesellschaftlichen
Funktionssystemen, also bei der Wissenschaft als System.
BAECKER Richtig, weil...
HEISELER Wie könnte man die beiden Begriffe einerseits
symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium, andererseits gesellschaftliches
Funktionssystem gegeneinander abgrenzen?
BAECKER Na ja, die Vermutung ist da schlicht und ergreifend
die, und es ist vor allem Niklas Luhmann, der sie ausgearbeitet hat, dass
ein Funktionssystem ohne ein eigenes Kommunikationsmedium nicht reproduktionsfähig
ist, so dass eine bestimmte sachliche Abgrenzung von Problemzusammenhängen,
hier geht es um Wissenschaft, hier geht es um Religion, hier geht es um
Erziehung, oder was auch immer, sozial gesehen, darauf angewiesen ist,
dass zu einer entsprechenden Teilnahme an diesen sachlichen Zusammenhängen
motiviert werden kann . Das Kommunikationsmedium beantwortet sozial die
Teilnahme an einem sachlich definierten Funktionssystem.
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