HEISELER Was ist ein Archiv?
ERNST Ein Archiv ist ein primär rechtsverbindlicher Ort der Dokumentation
von etwas, was dort nicht gesammelt wird, sondern, was ihm zugetragen
wird, auf wohldefinierten Wegen, und was dort aus verbindlichen Zwecken
für eine Zeit lang aufbewahrt wird. Das wäre der klassische
Begriff des Archivs im Zusammenhang des Staates, aus dem er stammt. Es
ist ein macht-interner Speicher ohne Interesse an öffentlichem Zugang.
Es ist das interne rechtsverbindliche Gedächtnis des Staates gewesen
und, im Unterschied zu Bibliotheken etwa und zu Museen, kein Ort der Sammlung,
sondern strikt reduziert auf das Vorhalten, auf das Aufbewahren rechtsverbindlicher
Dokumente, die reaktiviert werden in bestimmten Zusammenhängen. Das
ist der klassische Archivbegriff. Dem steht nun, seitdem Michel Foucault
uns mit seinem Denken bereichert hat, ein mutiger anderer Archivbegriff
zur Seite. Er begreift Archiv als das Gesetz dessen, was überhaupt
gesagt, gedacht, gesungen oder gesprochen werden kann, also als Bedingung
und gesetzgebende Institution*. Unter diesen Archivbegriff fallen dann
plötzlich auch die Medien selbst. Denn dass so etwas wie unsere flüchtige
Stimme erstmalig in der Geschichte speicherbar und damit übertragbar
und manipulierbar wird, das etwa verdankt sich dem Grammophon. Dadurch
wurde der Kultur etwas als Möglichkeit aufgegeben, was dann sofort
in der Kunst, in der Wirtschaft verarbeitet worden ist, was sich aber
dem technischen Gesetz des Mediums selbst verdankt.
+ + +
* Michel FOUCAULT (1926-1984), Archäologie des Wissens, Frankfurt
a.M. 1981, p.187; franz. Original: „L’Archéologie du
Savoir“, Paris 1969.
|